June 9, 2010

LSD und sein Entdecker pt 2


Albert Hofmann – LSD und sein Entdecker
Ein Film von Basil Gelpke und Valentin Faesch pt 1

1960 an der renommierten Harvard University in Cambridge, USA. Ein Psychologieprofessor initiiert ein großes LSD-Forschungsprogramm. Hunderte von Studenten nehmen daran teil, und LSD wird zum Thema Nr. 1 unter ihnen. Der junge Professor ist Timothy Leary. Bei Sandoz bezieht er legal Delysid. 1963 bestellt er bei Albert Hofmann eine immense Menge Psilocybin (25 kg) und LSD (100 g) – genug für mehrere Millionen Behandlungen. Hofmann wird stutzig und verhindert die Lieferung. Kurz darauf wird Leary fristlos entlassen. Frei von den Zwängen der akademischen Forschung propagiert er den Massenkonsum von LSD. Sein Ziel: eine spirituelle Revolution in Amerika (flyer: "Psychedelic Celebration – Reincarnation of Jesus Christ"). Leary:

"Die Amerikaner sind völlig fixiert auf materiellen Besitz, auf Macht und Krieg. Es ist eine kranke Gesellschaft. Unser Ziel ist es, das geistige Bewusstsein der Amerikaner anzuheben. Wir werden versuchen, eine religiöse Renaissance zu initiieren."

LSD gerät über Nacht in die Schlagzeilen, weckt die Neugier der Öffentlichkeit. Da die Substanz für Fachleute relativ leicht herzustellen ist, wird sie plötzlich überall angeboten. Meist in Form einer auf Zucker oder Löschpapier applizierten Lösung. Mitte der 60er Jahre haben schon mehrere Millionen Amerikaner mindestens einmal die unkontrollierte hergestellte Schwarzmarktware eingenommen. Doch so einfach die Herstellung, so schwierig die richtige Dosierung. Für jeden Trip gilt es ein Zehntausendstel-Gramm abzumessen. Jeder offiziellen Kontrolle entzogen, sind Unfälle vorprogrammiert. LSD wird zum Genussmittel, schließlich zur Straßendroge. Hofmann:

"Gerade nach meinen ersten Erfahrungen hätte ich mir nie vorstellen können, dass LSD jemals auf die Straße gelangen würde. Es ist ja wirklich kein Genussmittel. Es ist eine Art Konfrontation mit seinem Unterbewusstsein: Unbewusste Inhalte dringen ins Bewusstsein. Es ist wie eine Art Tagtraum, und es können auch sehr unangenehme Inhalte sein, schreckliche, destruktive Inhalte – deshalb Himmel und Hölle, wie Huxley das bezeichnet hat. Man hat nach einem LSD-Erlebnis das Gefühl, man müsse es verarbeiten, man kann da nicht einfach drüber hinweggehen. Es ist etwas sehr ernsthaftes – kein Genussmittel. Für mich war es kein Genussmittel, sondern wie gesagt etwas, mit dem man sehr sehr vorsichtig umgehen muss. Und ich war dann sehr sehr erstaunt, als es zum Massenkonsumgut wurde – in den Vereinigten Staaten hat das ja alles angefangen.

San Francisco 1967. Die kalifornische Stadt ist die Hochburg der Hippies, der rebellischen Jugend. Eine neue Musik und die Drogen LSD und Marihuana sind ihre wichtigsten Attribute. Die Hippies verweigern sich dem American Way of Life, und das geben sie auch äußerlich zu erkennen. Ihre vom Krieg und der prosperierenden Nachkriegszeit geprägten Erzeuger sind zutiefst verunsichert. Konsum und Karriere, traditionelle Familienwerte und Patriotismus gelten den eigenen Kindern plötzlich nichts mehr. Sie verweigern nicht nur den Kriegsdienst in Vietnam, sondern praktizieren in Kommunen auch neue Formen des Zusammenlebens, wo sie dann womöglich dem Drogenkonsum und der freien Sexualität frönen. Eine Kulturrevolution nimmt ihren Anfang. Zumindest was die junge Generation betrifft, scheint sich Learys Vision einer spirituellen Revolution in Amerika langsam zu verwirklichen. Alfred Hofmanns unbeabsichtigte Entdeckung aus dem Jahre 1943 – schon ein Vierteljahrhundert alt – bestimmt das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Die Erfahrung anderer, ebenso realer Wirklichkeiten, die das LSD vermittelt, relativiert die traditionellen Werte. "Breaking through" – brecht aus, singen die Doors.

Eine psychedelische Kunst, psychedelische Grafik, ein psychedelisches Layout und Design entstehen – Versuche, das LSD-Erleben visuell umzusetzen. Einflüsse, die bis heute nachwirken. Die 68er Revolte zeichnet sich ab. Der Kapitalismus wird zum erklärten Gegner. Dem Krieg in Vietnam wird jede moralische Legitimation abgesprochen. Und der selbsternannte LSD-Prophet Timothy Leary fordert zum radikalen Bruch mit der Gesellschaft auf: "Alle kommen zu mir. Nicht weil ich so klug bin, sondern weil ich sage, turnt euch an, hört hinein und steigt aus."
Doch das aufgeschreckte Establishment, das seine Interessen massiv bedroht sieht, schlägt zurück. Die Politiker erkennen die subversive Rolle von Marihuana und LSD. Leary wird wegen des Besitzes einer kleinen Menge Marihuana zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Der US-Senat lädt Leary zur Anhörung vor, doch der kann das totale Verbot von LSD nicht verhindern. Das ist der Beginn der repressiven Drogenpolitik, die bis heute anhält. Hofmann:

"Ursprünglich war LSD nicht verboten. Es passte nicht in den Paragraph der Opiate, es passte nicht in den Paragraph der Stimulanzien, es war etwas neuartiges. Aber als dann eben einerseits diese politischen, sozialen Auswirkungen sich dermaßen breit machten und eben dann auch Unglücksfälle und Verbrechen im Zusammenhang mit LSD, Missbrauch von LSD zutage traten, war das dann ein Vorwand von der Gesundheitsbehörde und des Establishments, eben dieses drakonische Verbot auszusprechen. Das hat dann auch dazu geführt, dass die wissenschaftliche Untersuchung, d.h. auch die Anwendung von LSD in der Psychatrie, in der Medizin, auch in der Biologie alle abgebrochen wurden. Und dieser Zustand hält bis heute an."

Tatsächlich hat der Missbrauch von LSD auch dazu geführt, dass selbst Wissenschaftler, die sich seiner Erforschung verschrieben, in ein schiefes Licht gerieten, und auch für Sandoz ist LSD heute kein Thema mehr.
Herrling:

"Die eigentliche Erforschung des LSD-Moleküls selber und seine Wirkung auf das Nervengewebe, auf das Gehirn hat heutzutage eine Flaute erreicht. Man hat während vieler Jahre versucht, das Molekül auseinander zu nehmen, zu verstehen, wie es funktioniert, aber diese Flaute hat verschiedene Gründe. Wir wissen nämlich nicht, was man jetzt noch weiter damit machen könnte. Und weil dieses Molekül eben mit sehr vielen Systemen gleichzeitig interagiert, ist es das, was die Pharmakologen ein "dreckiges Werkzeug" nennen, und wir arbeiten lieber mit reinen, die nur mit einem System interagieren. Und natürlich hat diese Art von Forschung nach dem LSD auch sehr stark Auftrieb gewonnen und hat tatsächlich eine ganze Reihe von Substanzen hervorgebracht, die in der Depression eingesetzt werden, sogar in neurologischen Indikationen wie die Parkinsonsche Krankheit, bei Hormonveränderungen. Überall dort sind solche chemischen Systeme beteiligt und können auch günstig beeinflusst werden. Also kann man sagen, dass die Wirkung der Entdeckung des LSD für unsere neuropharmakologische Forschung von sehr hoher Bedeutung war."

Eine psychiatrische Praxis im schweizerischen Solothurn. Margrit Brodbeck, eine Berufsschullehrerin, ist in Behandlung bei Dr. Samuel Widmer. Der Psychiater ist im Besitz einer Ausnahmegenehmigung des schweizerischen Gesundheitsministeriums. In seinen Therapien darf er bewusstseinsverändernde Substanzen wie LSD einsetzen. Brodbeck:

"Eine Zeitlang war das für mich schon fast aussichtslos. Ich hab andere Therapien auch gemacht, und ich hatte immer das Gefühl, das etwas in mir nie angerührt wurde, dass etwas in mir unberührt blieb. Und das hab ich auf diesen Sitzungen mit Medikamenten gekonnt, ich konnte dann gehen."

Nach intensiver, oft jahrelanger Vorbereitung führt der Psychiater Gruppensitzungen durch, bei denen er seinen Patienten eigentlich gesetzlich verbotene Substanzen wie LSD und das ähnlich wirkende MDMA, auch unter dem Namen Ecstasy bekannt (keine Droge hat sich je so schnell so weit verbreitet), verabreicht. Widmer:

"Diese Art der Therapie ist heute praktisch überall auf der ganzen Welt verboten, obwohl die gesetzlichen Möglichkeiten immer noch bestehen. In der Schweiz kann man das im Moment machen, aber nur unter ganz schwierigen Bedingungen, mit komplizierten Bewilligungsverfahren, und man bleibt immer auch irgendwo suspekt. Wer das tut, ist irgendwo eben ein () – das bleibt so: Das hat vor allem politische und geschichtliche Gründe, dass diese Substanzen missbraucht wurden und dann in die Betäubungsmittellisten gesetzt wurden, wo sie eigentlich garnicht hingehören. Es hat aber auch tiefer liegende Gründe, also dass der bewusst seiende Mensch wahrnimmt, dass diese Substanzen sehr tiefschürfende Veränderungen bewirken könnten, und diese Veränderungen machen eben Angst."

Die Anwendung der Drogen LSD und MDMA soll helfen, verdrängte Erlebnisse ins Bewusstsein zu rufen, um diese dann in anschließenden Gesprächen verarbeiten zu können. Unter Widmers Patienten sind alle Bevölkerungsschichten vertreten. Es sind ganz normale Bürger, die ganz normalen Berufen nachgehen. Menschen aus der Schweizer Provinz.
Der Baseler Psychiater Juraj Styk arbeitet seit Anfang der 60er Jahre mit LSD. Nachdem er diese Arbeit wegen des totalen Verbots für lange Zeit unterbrechen musste, kann er seit 1985 wieder legal LSD einsetzen. Dr. med. Styk:

"Die tiefe Erfahrung in einem guten Setting, d.h. in einer therapeutischen Umgebung, die stützend und nährend ist, diese Umgebung ermöglicht dem Patienten ganz tief einzutauchen in seine Ängste und alle konflikthaften Situationen, und das ist eine ganz wichtige Erfahrung für ihn, die wir dann später in weitere Sitzungen mit ihm integrieren. Das ist das Wesentliche an der therapeutischen Nutzung von LSD."

Was sind die Gefahren dabei?

"Die Gefahren bei der LSD-Arbeit sind, wie ich gesagt habe, in einer guten Umgebung kaum vorhanden. LSD kann aber zum Horror werden, wenn man es unter schlechten Umständen, unsorgfältig vorbereitet, mit größten Unsicherheiten, wie der Stoff ist, also in einem illegalen Klima nimmt. Unter therapeutischer Begleitung, wenn der Betreffende gut informiert und motiviert ist und sich in einer guten Grundstimmung befindet, bestehen keine Gefahren. Weder gesundheitliche noch seelische."

Besuch eines ehemaligen Patienten. Udo Kinzel litt unter schweren Depressionen, fühlte sich rastlos und überfordert. Jahrelang unterzog er sich verschiedenen Therapien – ohne Erfolg. Erst die psycholytische Behandlung habe ihm wirklich geholfen:

"Mit den psycholytischen Substanzen geht es schonungslos an das, was wirklich da ist. An die schönen wie auch an die Schattenseiten, die ich an mir kennengelernt hab. Und ich bin durch die Schattenseiten durch, durch die Angst, durch die Verzweiflung, durch das Infragestellen, durch das Leiden vor allen Dingen. Ich hab das Leiden bei mir und auf dieser Welt nicht mehr ertragen, und ich hab, indem ich auch immer wieder durch das Leiden durch bin, fast verzweifelt daran bin, während dieser Erfahrung gelernt, das Leiden auch als Teil dieser Welt einfach zu akzeptieren. Das hat mir mehr Selbstwertgefühl gebracht, hat die Energie in mir anders fließen lassen – das spür ich. Von der Ausgeglichenheit her, weniger körperliche Verspannungen, weniger Kopfweh und andere Sachen. Das ist eine fast unglaublich andere Sache für mich geworden. So gibt's viele Bereiche, die angeschnitten wurden, die schwer erklärbar sind."

Albert Hofmann fühlt sich seinem Sorgenkind noch immer verpflichtet. Er glaubt, dass aus LSD – richtig angewendet – ein Wunderkind hätte werden können. Die emotionalisierte Kontroverse habe zu vielen Missverständnissen geführt. So schreibt er noch immer Vorträge, nimmt Einladungen zu wissenschaftlichen Symposien an, die ihn aus der ganzen Welt erreichen. Er möchte die Missverständnisse klären helfen.
El Escorial – die alte Residenzstadt der spanischen Könige in der Nähe von Madrid. Vor der imposanten Kulisse des Klosterschlosses von Phillip II. sammelt sich Albert Hofmann vor einem Symposium, zu dem ihn die Universität Madrid eingeladen hat. Hier in Spanien ist er bekannter als in seiner Schweizer Heimat. Hier ist das Interesse an seinem Werk besonders groß. Hofmann:

"Ich habe ja versucht zu zeigen, dass LSD in den Rahmen dieser Stoffe gehört, die seit Jahrtausenden in allen Kulturen genommen und gebraucht wurden, aber immer in den Händen einer Priesterschaft, immer im zeremoniellen Rahmen genommen wurden. Und so ist LSD auch gedacht. Auf keinen Fall Massenkonsum. LSD kann im besten Fall in gewissen Fällen dem einzelnen Menschen helfen. Und es ist ein Medikament! Medikamente müssen sie doch nicht immer nehmen. Medikamente nimmt man, wenn man krank ist und wenn man das nötig hat. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: LSD ist ein Medikament. Es ist ein Hilfsmittel. Ich habe noch nie jemandem gesagt, er soll LSD nehmen."

Hoffmann hält das Verbot von Drogen für kontraproduktiv. Die Illegalität begünstige die Mafia, verhindere sachliche Informationen. Darin weiß er sich einig mit seinem Freund, dem Madrider Philosophie-Professor und Drogenforscher Antonio Escohotado:

"Drogen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Wir müssen uns nur mit ihnen vertraut machen und sie vernünftig anwenden lernen. Sonst bekommen wir die Probleme, die wir heute damit haben. Gleich hier um die Ecke könnten wir Heroin oder Kokain kaufen. Das wäre einfacher als Valium zu bekommen, denn für Valium müssen wir mit einem Rezept zur Apotheke ... Das ist eine Ironie. Wann immer wir entscheiden eine Droge zu verbieten, führt das nur dazu, dass sie jederzeit und fast überall zu kriegen ist."

War LSD einmal der Inbegriff des Drogenmissbrauchs schlechthin, so sind heute – und das ist die Ironie der Geschichte – längst harte, abhängig machende Gifte wie Heroin und Kokain an seine Stelle getreten. Und der Drogenmissbrauch hat ein Ausmaß angenommen, das man sich in den 60er Jahren nicht hätte träumen lassen.
Warum aber ist die Karriere von LSD auch in der Drogenszene so plötzlich zuende gegangen? Widmer:

"Eines der größten menschlichen Probleme ist, dass der Mensch ein riesiges Bedürfnis hat, unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen und angenehme Dinge fortzusetzen. Aus dieser Tendenz heraus, denke ich, sind Drogen wie Schlafmittel, die ganzen Psychopharmaka oder eben das Heroin – die helfen, etwas zu verdrängen, einen angenehmen Zustand in sich zu erzeugen, der vielleicht auf lange Sicht dann zwar unangenehme Folgen hat, aber kurzfristig als angenehm erlebt wird – deshalb sind diese Stoffe sehr populär. Stoffe dagegen, die helfen, der unangenehmen Wahrheit ins Auge zu sehen, wie wir wirklich sind, wie unsere Welt wirklich ist, nicht sehr beliebt sind."

Albert Hofmann bedauert die Entwicklung, die die Geschichte von LSD im letzten halben Jahrhundert genommen hat. Für ihn sind Missbrauch und Missverständnisse Schuld daran, dass aus seiner Entdeckung kein heilbringendes Medikament für die Allgemeinheit geworden ist. So ist LSD sein Sorgenkind geblieben.

Albert Hofmann: "Ich bin überzeugt, dass LSD den Platz finden wird, den es in der menschlichen Kultur braucht."

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